Ratschläge und andere Angriffe.

Wie oft habe ich schon erlebt, dass sowohl gut-gemeinte als auch tatsächlich gute Ratschläge beim Rat-Nehmer nicht "ankamen". Also ignoriert wurden. Zur völligen Überraschung und auf jeden Fall auch Enttäuschung des Gebers. Selbst oder gerade dann, wenn es sich um gute Bekannte handelte. Denn wie kann es sein, dass der freundschaftliche Rat offenkundig noch nicht mal in Betracht gezogen wird?

Ich erinnere mich an viele solcher Situationen, als "erfolgloser" Geber wie auch als "widerspenstiger" Nehmer. Über diese Konstellation habe ich mir Gedanken gemacht, wie es also passieren kann, dass ein objektiv zumindest brauchbarer Rat trotzdem ins Leere läuft.

Der vielleicht augenfälligste Grund steckt wohl bereits im Wort selbst, wenn nämlich den Adressaten der Rat wie ein Schlag trifft. Von oben herab, vielleicht samt Überheblichkeit, auf jeden Fall mit Schwung. Bäm! Zumindest war das nicht selten meine eigene, ganz persönliche Wahrnehmung, wenn ich selbst der "Empfänger" war.

Mmmh … was ist denn für mich eigentlich ein "guter Rat"?
Er müsste als ehrlich gemeintes Angebot rüberkommen: Person A möchte B in etwas unterstützen. Mit einem Ratschlag, der sich aus der persönlichen Erfahrung und Überzeugung des A speist und – das ist wichtig – dabei mit Empathie versucht, die Perspektive der anderen Person einzunehmen. Denn letztendlich entscheidet ja ausschließlich Person B, den Rat umzusetzen – oder eben nicht.

Anbieten und versuchen.
Beide Wörter markiere ich nicht umsonst kursiv, denn dem Akt des Ratgebens möchte ich ein Stück Demut beimischen. Demut klingt schwermütig, ist aber gar nicht so gemeint. Vielleicht meine ich damit auch eine gewisse Form von höflicher Distanz?

Ein wirklich guter Rat steckt für mich also nicht nur in der Qualität des Inhaltes, sondern genauso in der Herangehensweise, der Motivation sowie der Erwartungshaltung: Möchte ich wirklich ehrlich helfen? Nützt mir die Umsetzung am Ende selbst am meisten? Oder geht es vielleicht nur um die Polsterung meines Egos? Diese Fragen müssen nicht, können aber durchaus mal gestellt werden.

Ebenso steckt die Qualität im Umgang mit dem Ergebnis:
Wie wird denn der Rat aufgenommen, angenommen und umgesetzt? Und weiter: Was sind denn die Gründe, wenn dem Rat nicht gefolgt wird? Ist sich der Empfänger dessen überhaupt bewusst? Oder ist die Reaktion vielleicht rein intuitiv?

Wie oft führen sich Ratgeber auf wie selbstlose aber wissende Gönner, die dann aber mit Ungeduld, Unverständnis und sogar Wut über die vermeintliche Engstirnigkeit reagieren. Was erst recht für den Fall gilt, wenn zuvor ausdrücklich um ihren Rat gebeten wurde.

Nicht nur könnte es jeder Ratgeber als besondere Wertschätzung seiner Person betrachten, überhaupt gefragt zu werden, man sollte auch das Ergebnis gelassen aushalten. Denn selbst mit der größten Empathie lässt sich ja nur ahnen – aber nie wissen – auf welches individuelle Bewusstsein, Wahrnehmungsmuster und rationales Erfahrungswissen das Gesagte letztlich trifft.

Was ebenso nur geahnt werden kann, sind der Gefühlshaushalt und die gelernten Glaubenssätze des Empfängers: Welchen Trotz, welche Ängste und Abwehrhaltungen lösen die Ratschläge eventuell aus? Und seien diese aus der Außensicht noch so unbegründet, unsinnig und ja auch unbeabsichtigt. Allerdings sind Ängste per se nie unsinnig. Sie entstehen und wirken immer mit Grund und erfüllen schließlich auch eine Funktion.

Wie wäre es also, einen Rat-Schlag besser in ein Rat-Angebot zu konvertieren?
Ein Rat wie eine "wohlwollende, respektvolle Anregung zur freibleibenden Annahme". Klingt übertrieben, ich weiß. Ich lasse es aber trotzdem stehen und betone noch die gleiche Augenhöhe der Parteien, damit die Beziehungsebene beider Personen keine größere Rolle spielen kann, und sich nicht plötzlich zwei wachsende Egos im Wege stehen. Der Kern des Rat-Inhaltes erhält dann mit Sicherheit mehr Chancen und Raum zur Entfaltung.

Angebot statt Schlag.
Klingt weder kompliziert noch übermäßig komplex. Ich persönlich würde mir auf jeden Fall immer wünschen, einen Rat auf bewusst gleicher Augenhöhe, wohlwollend aber dennoch mit der gebotenen Distanz zu erhalten. Ist das angemessen oder im Alltag dann doch zu viel erwartet? Und wie sehr liegt die Verantwortung für einen "erfolgreichen" Rat beim Nehmer selbst? Bei seiner Bereitschaft und Fähigkeit zur offenen, vorbehaltlosen und konstruktiven Auf- sowie Annahme?

So oder so ist es doch für alle immer das Gleiche:
Die Art und Weise wie man sich das Verhalten seines Gegenübers wünscht, sollte auch die Richtschnur für einen selbst sein, wenn die Rollen mal wieder wechseln. Kant lässt grüßen. Wie so oft im Leben.