Alles gut? ALLES gut!

Vor einigen Monaten bin ich in der Süddeutschen Zeitung über eine kurze Polemik zum derzeitigen verbalen Alleskönner "Alles gut" gestolpert. Es ging um die persönliche Erfahrung des Autors an einer Supermarktkasse, an der ihm ein Artikel aus der Hand rutschte und auf den Boden fiel. Sein erschrocken dahin genuscheltes "Entschuldigung" quittierte die Kassiererin dann sogleich mit einem sonoren und wohl beruhigend gemeinten: "Alles guuut!".

Diese Reaktion war zu viel für den Mann. Zumindest innerlich. Fühlte er sich doch wie ein kleines Kind zurückgesetzt, das im Sandkasten unbeholfen-trottelig über seine eigene Burg stolpert, die Mama aber – wie von der Seitenlinie aus – sofort jeden emotionalen Ausbruch zu verhindern sucht, indem sie ihrem Zögling sofort die verbale Beruhigungspille verabreicht. "Alles guuuut! Ist doch nix passiert. Brrrrr". Auf Deutsch: "Puh, das war knapp. Gefahr gebannt. Kein schreiendes Kind. Handy wieder an. Alles IST gut!"

Zurück zur Kasse: Der Mann vernimmt also die pädagogische Intervention seiner Mama, nein, es war ja die Kassenfrau und denkt sich: Was heißt denn hier alles gut? Mir ist doch nur die Flasche aus der Hand gerutscht! Und sie ist auch heil geblieben. Wieso also alles gut? Was bedeutet denn ALLES? Mein Leben? Mein Job? Meine Beziehung? Und was ist mit ihrem Leben, Beziehung und ihrer Arbeit an der Kasse? Was mit Deutschland, dem Brexit, Corona und dem Klimawandel?

Klar, die Dame meinte es nur gut. Aber eines kann ich absolut nachvollziehen: Jeder und alle sagen pausenlos "alles gut". Alles gut hier, alles gut da. Eine Aussage wie ein Sedativum und Abräumer zugleich. Thema beendet, passt schon, kein weiterer Gedanke nötig. Eben Ende gut, alles gut.

Ich empfinde es mit der Zeit auch immer bizarrer. Denn umso schlimmer eine Situation, desto eher scheinen Personen zu dieser Phrase zu greifen. Vor ein paar Wochen zum Beispiel beim Aufräumen nach der wirklich dramatischen Hochwasser-Katastrophe treffe ich versehentlich mit der Schaufel den Stiefel meines Mit-Schauflers … und tatsächlich auf der Stelle erblicken mich zwei treuherzige Augen und die Ansage: "Alles gut!".

Wann war eine Floskel denn schon mal so falsch und nichtssagend wie diese, aber dennoch so omnipräsent? Und man weiß ja gar nichts mehr darauf zu antworten, es ist ja schon "alles" geklärt. Also zumindest mich lässt das regelmäßig ein wenig irritiert zurück. Eben weil auf eine oft wenig bedeutende Aktion eine so allumfassende (verbale) Re-Aktion folgt. Eine Reaktion, die ja per se nicht schlimm ist, nein, ganz im Gegenteil. Aber doch trotzdem so unpassend?

Ich habe auch grundsätzlich gar nichts gegen inhaltsleere Worthülsen. Aber stößt man nicht gerade heutzutage ständig und überall auf das Konzept der Achtsamkeit? Ob achtsames Leben, Gehen, Denken, Arbeiten, Atmen, Jucken und bestimmt auch Kratzen … und eben auch: Achtsames Sprechen. Genau genommen dürfte es die Aussage "alles gut" also gar nicht geben. Denn es geht in dem Moment ja nicht um Alles, sondern "nur" um diese eine Sache, die eine Situation, den einen Sachverhalt. Der ist also gut. Oder zumindest nicht so schlecht, wie der andere es gerade befürchten mag.

Unschwer zu erkennen, mich nervt diese Phrase einfach. Und noch mehr nervt mich, wenn ich selbst in diese Verbalfalle tappe und mich "alles gut" sagen höre. Offensichtlich, weil ich nicht mehr weiß, was ich denn SONST antworten soll. Dann bemurmel und beschimpfe ich mich leise dafür und muss mich selbst beruhigen – gerne auch mit einem strengen "alles gut". Autsch!

Moment. Möglicherweise fungiert diese Floskel ja auch wie ein geheimnisvolles sprachliches Gegenmittel für die gegenwärtigen Zeitläufte. Schließlich fragt man sich wirklich: Was kann denn auf der Welt an Katastrophen bitteschön NOCH zur gleichen Zeit passieren? Neben dem schon erwähnten Klimawandel und Corona knallen täglich Schlagzeilen durch die Medien zu etlichen Natur-Katastrophen auf der einen Seite der Welt – zusätzlich zu den menschengemachten Desastern auf der anderen Seite.

Vielleicht funktioniert da ein zu jeder Gelegenheit dahingesagtes "alles gut" wie eine kind-trotzige, verbal auf den Boden gestampfte Reaktion. Quasi ein bisschen Realitätsverweigerung, indem man einfach das Gegenteil behauptet. Eine Affirmation, dass der Alptraum doch hoffentlich bald vorbei sein soll.

Ja, vielleicht. Sollte also hinter "alles gut" tatsächlich ein unbewusster Nutzen stecken, wird der Moment spannend werden, wenn dieser Ausdruck am Phrasenfirmament scheinbar plötzlich verschwunden sein wird. Und das wird passieren. Denn so unerwartet wie solche Worthülsen auftauchen, verschwinden sie in der Regel auch wieder und machen Platz für neue, die die Alltagssprache prägen. Ob nun inhaltsleer oder aufgeladen mit einer Bedeutung?

Ich bin gespannt.