Nomen est omen

Stellen Sie sich vor, Sie haben acht Kinder und eine Silben-Allergie. Dann könnte der Ruf zum Mittag so ablaufen: Jobst, Götz, Lutz, Utz! … Ida, Isa, Oda, Asta! Essen ist fertig! Schön oder? Schön kurz. Nachzulesen in der "Auswahl gebräuchlicher Vornamen":

Genau. Und die stammen aus dem Familienstammbuch meiner Oma und lesen sich zum Teil echt skurril. Sie sind aber ebenso ein schöner Spiegel der damaligen Zeit – also Ende der 40iger Jahre. Und obwohl die Nazis in den letzten Jahren ihrer Herrschaft die Frakturschrift durch "Antiqua" als künftige deutsche Schrift ersetzten, waren die Beharrungskräfte der Standesämter offensichtlich stärker.  

Wie auch immer: Auch früher hat es vermutlich moderne und altmodische Namen gegeben, die allesamt als Serviceliste für angehende Eltern angeboten wurden. Aber so manche Exemplare scheinen aus heutiger Perspektive doch ganz schön aus der Reihe zu fallen. Zum Beispiel sämtliche (im Übrigen nur männliche) Namen mit Gottesbezug: Gottfried, Gotthelf, Gotthold oder puuhh … Traugott. Für mich aber die Spitze: Fürchtegott. Man muss sich das mal ausmalen, wie der junge Fürchtegott sich heutzutage auf Tinder der Frauenwelt vorstellen würde. Sehr schön.

Auch Leberecht ist ein Name mit eingebauter Lebensphilosophie. Der gehobene Zeigefinger quasi immer mit dabei. Klingt anstrengend. Auf jeden Fall ist anzunehmen, dass mit schwindender Bedeutung der Kirche auch die entsprechenden Namen ausgestorben sind.

Weitere Namen aus der Liste klingen einfach nur kurios: Eitel und Gundolf. War letzterer nicht der mit dem Ring?

Interessant finde ich die hoffentlich erfolgsverwöhnten Männer rund um Siegbert, Siegfried und Siegward. Im Kontrast dazu die weiblichen Pendants: Siglinde, Sigrun und Sigtrud. Wo bitte ist das "e" geblieben? Zufall? Oder wollten die dominanten Männer schon damals den Frauen mehr oder weniger subtil den Erfolg nicht gönnen?

Früher waren mehr und öfter Kriege, zumindest erklärte Kriege zwischen den Ländern. Der Wunsch nach Frieden wurde namentlich auf dem Rücken der Kleinsten in den Ausweis eingetragen: Von Bringfried zu Ehrenfried, von Friedhelm zu Winfried, von Elfriede zu Friedegunde. Ja, richtig, Friedegunde.   

Wenn ich heute an die Namenswahl von Kindern denke, welche Faktoren fallen mir dann ein? Zum Beispiel welche Verniedlichungen daraus erwachsen. Oder wie sich manche furchtbaren Abkürzungen verhindern lassen. Wie ist der Namensklang im Ganzen? Edel genug oder zumindest selten und damit besonders? Passt der Name zum Ton und der Länge des Nachnamens? Und so weiter und so fort. Auf jeden Fall scheinen Namen heute weniger eine Funktion, Bürde oder Aufgabe abzubilden als früher. Ist das ein Fortschritt?

Manche Namen fallen genauso ins Auge, nicht weil sie ungewöhnlich klingen, sondern weil sie heute immer noch oder wieder ultra modern sind. Zum Beispiel die Klassiker Maximilian oder Charlotte, aber auch Luise, Leo, Vinzent, Klemens oder Julius.

Diese – wie ja die meisten Namen – haben natürlich ebenso eine besondere Bedeutung. Ob angelehnt an berühmte Figuren der Geschichte, der Mystik oder aus der Wortbedeutung heraus. Eine Charlotte ist zum Beispiel "Die Tüchtige", der gute Vinz(c)ent(z) ist – mal wieder – "Der Siegreiche". Einfach mal bei Wikipedia eingeben, da stehen sie alle!

Heutige Namen sind aber viel weniger eine "beschreibende Mission". Es war den Menschen wohl früher ein großes Bedürfnis, ihrer Hoffnung im Namen der Kinder Ausdruck zu verleihen. Ein bisschen so wie die legendären, blumigen und bedeutungsschwangeren Namen von Indianerhäuptlingen oder deren Töchtern. Zugegeben, ein etwas ungelenker Vergleich.

Ich vermute, heute soll der Name eines Kindes einfach nur möglichst einzigartig für sich stehen. Passend zur individualistischen Gesellschaft, ohne ihn mit einer allzu auffallenden zusätzlichen Geltung aufzuladen.

Früher war alles besser, heißt es doch? Also mit einem letzten Blick auf diese Nomenklatur der 40iger Jahre bin ich irgendwie froh, dass heute andere Zeiten sind. Das klingt mir alles zu schwer, träge und überhöht. Und ohnehin schien damals auch so einiges zu fehlen. Wie oben zu lesen ist, gab es ja zum Beispiel den Kunz. Aber keinen Hinz. Wie ist denn das nun zu erklären?