CNN’s "30 Seconds of Calm"

Seitdem ich denken kann, war davon immer wieder die Rede: Dass die Welt komplizierter, komplexer und unübersichtlicher wird – aber ebenso vielfältiger, vielschichtiger, bunter und freier. Sofort greifbar wird das an so profanen Beispielen wie der Anzahl an Fernsehsendern. Von vier Stück in meiner Kindheit hin zu einer Menge, dass man schon lange nicht mehr merkt, wenn der eigenen TV-Liste zehn entfernt oder hinzugefügt wurden.

Auf der Welt passieren ohne Unterbrechung schlimme, schöne, bedeutende und spektakuläre Ereignisse, so dass Medien sämtlicher Couleur quasi ohne Unterbrechung ihre Lautstärke aufdrehen (müssen). Man wundert sich fast, dass die Zahl der Breaking-News-Laufbänder in den Kanälen im Laufe der Zeit nicht noch mehr gewuchert ist. Schon vor Jahren hatte ich manchmal den Gedanken, dass der Moderator weiter weg von der Kamera sitzen sollte, um von den Bändern nicht noch virtuell stranguliert zu werden.

CNN war bei der Aufbereitung und Vermittlung von News immer schon mit großem Besteck dabei. Das Tempo und die Schnörkellosigkeit wie hier Kommentatoren, Reporter, Korrespondenten, Experten und Moderatoren sowie die Protagonisten vor den Wetterkarten, Börsenkursen oder Fußballstadien zusammen funktionieren … das ist alles ein oder zwei Nummern größer und schneller als ich das aus unseren Gefilden kenne.

Was wir genauso nur bedingt kennen, sind die vielfältigen "Filler" mitten im Programm. Im Deutschen würde ich sie mit "Unterbrecher" übersetzen. Um der selbst produzierten Hektik eine zumindest kurze Auszeit zu gönnen, setzt CNN diese Filler in sehr unterschiedlichen Formen ein: Das kann ein kleines, unschuldiges Quiz mit sofortiger Auflösung sein oder die Aufzählung interessanter Fakten zu einem Land. Oder aber es sind die "30 Seconds of Calm".

Von wegen kleine "Filler". Pinguine und Walrösser!

Wie aus dem Nichts, zwischen extralauten News-Alerts oder neuesten Aufnahmen aus diversen Krisengebieten erscheint dem Zuschauer beispielsweise eine Gruppe sich langsam im Sand wälzender Walrosse. Oder eine faszinierende Vulkanlandschaft aus der Vogelperspektive. Dann wieder Skigebiete, Wüstenpanoramen, Flusstäler und Meeresbrandungen. Alles garantiert schön und exotisch anzuschauen. In der Regel mit nur wenigen oder sogar gar keinen Bildschnitten. Auf jeden Fall aber ohne Moderation oder sonstige sprachliche Interaktion. Sehr, sehr "calm" halt!

Der Kontrast zum restlichen Programm ist so groß, dass man als Zuschauer misstrauisch nach dem kommerziellen Element sucht. Als wären diese "Filler" ein bedauerliches Versehen der Fernsehregie. Aber natürlich ist das Absicht und Teil der Markenpflege eines Medienriesen. Jedenfalls, und aus welchen Motiven auch immer, wird der Zuschauer zum Durchatmen beinahe genötigt. Die gewählten Motive aus der Natur haben eine Wirkung, der man sich kaum entziehen kann. Denn es werden Tiere, Pflanzen oder Elemente gezeigt, die ohne scheinbare Dramaturgie nur für sich stehen. Im Gegensatz zum sonstigen Programm zeigt sich das abgebildete Treiben nämlich faszinierend unabhängig von allen menschlichen Einflüssen.

Wie zum Beweis ob der entspannenden Wirkung erschienen mir die Clips von Anfang an erheblich kürzer als der Titel suggeriert. Demnach eher 15 statt 30 Sekunden (testen Sie es doch mal selbst!). Das machte mich geradezu sauer, fühlte ich mich doch um die versprochene Hälfte dieser Auszeit gebracht. Irgendwann wartete ich also gespannt auf die nächste Portion Walrösser und Pinguine, um sogleich die Zeit zu stoppen. Aber siehe da: Es war tatsächlich exakt die angekündigte halbe Minute. Verrückt.

Reichen 30 Sekunden für ein Hirn-Reset?

Statt CNN wegen Fake-News zu verklagen, möchte ich die Macher somit gerne loben: Für mich sind diese Inseln der Ruhe ein wirkungsvolles Stilmittel, die Zuschauer durch einen unerwarteten Nutzen ein Stück weit sogar zu binden. Und zwar mit diesem bewussten Spiel aus Anspannung und Entspannung. Sie sind eine freundliche Erinnerung daran, dass selbst ein News-Junkie wie ich aufpassen sollte, sich nicht durch die heutigen Informations-Tsunamis überrollen zu lassen.

Eventuell zielen die Erfinder der 30-Sekunden auch darauf ab, mit diesen "Mini-Resets" die erschlaffte Aufmerksamkeit ihrer Zuschauer wieder zu stärken. Damit diese am Ende nicht umschalten. Kann sein. Aber geschenkt! Menschenliebe oder Fürsorge als Beweggrund zu vermuten wäre sowieso mehr als naiv, keine Frage. Ist aber auch egal. Hauptsache es wirkt.